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Wenn es darum geht Gegensätzlichkeiten auszudrücken, hat Yin und Yang auch in unserem Sprachgebrauch Einzug gehalten. “Die sind” oder “das ist” wie Yin und Yang. Aber was heißt das?

Yin und Yang sind keine Zustandsbeschreibungen. Zu keinem Zeitpunkt gibt es einen absoluten Yin-Zustand (Materie) oder singulären Yang-Zustand (Feinstofflichkeit). Es ist immer Ausdruck einer Transformation von – zu. Hier gibt es keinen Anfangs- und keinen Endpunkt sondern ein mehr oder weniger und die Übergänge dazwischen. Es ist eine sich wandelnde Relation von Qi zu Raum, soll heißen von mehr Feinstofflichkeit zu mehr Materie. Yin und Yang ergänzen und verdrängen sich, ständig in Bewegung und bestrebt sich einen Vorteil zu verschaffen. Aktivität will mehr Aktivität, Ruhe will mehr Ruhe.

Die Transformation ist ein grundlegendes Prinzip in der östlichen Philosophie. Das Eine, das Tao, wandelt sich in zwei Pole. Die Polarität ist der Preis, den wir mit dem Eintritt in das Leben zahlen. Mit dem Moment der Zeugung entfernt sich der Mensch von dem Einen und geht in die Zweiheit. In dieser Realität erzeugt das Schöne auch das Hässliche, das Helle auch das Dunkle. Aus dem Einen entstehen zwei, die sich komplementär verhalten. Aber genau im Gegensätzlichen läßt sich vieles erst richtig begreifen. So erkennt man Freude erst durch den Spiegel der Nicht-Freude, Zufriedenheit durch die Abwesenheit der Zufriedenheit und Wohlfühlen durch Unwohlsein. Und am Ende wird das Leben erst durch den Tod zu dem was es ist, nämlich kostbar.

Im Buch der Wandlungen, I Ging, wird das Yang durch sechs durchgezogene Linien repräsentiert. Dieses Hexagramm steht für die kürzeste Nacht und die Sommersonnenwende. Yang zeigt sich in der Kraft des längsten Tages, hier sind Kreativität, Licht und die nach außen gerichtete Aktivität am größten. Yang-Werte sind Integrität, Großzügigkeit, Aufrichtigkeit und Vertrauen in sich und andere. Das Hexagramm für Yin besteht aus sechs unterbrochenen Linien und steht für die längste Nacht und die Wintersonnenwende, wenn die Tage kurz und dunkel sind und das Ruhebedürfnis und die innere Einkehr zunehmen. Yin-Werte sind Flexibilität, Sanftmut, Freundlichkeit, Hingabe und Geschmeidigkeit. Und es wäre keine östliche Philosophie, wenn sich hier nicht ein Widerspruch oder Paradox verbergen würde. So ist in der längsten Nacht, der Wintersonnenwende, auch schon das maximale Yang enthalten. Das Licht kehrt zurück und zeigt sich dann in dem nächsten Hexagramm mit der ersten durchgezogenen Linie. Genau umgekehrt ist es zur Sommersonnenwende, hier ist schon das maximale Yin anwesend und die erste unterbrochene Linie erscheint mit der Rückkehr der Dunkelheit.

Yin und Yang können nur in Relation zueinander beurteilt werden. Um eine Bewertung vornehmen zu können, muß man den Bezugsrahmen kennen. Ein Objekt oder Zustand ist nie nur Yin oder nur Yang. Eine Frau ist in Bezug auf einen Mann Yin, kann im Vergleich mit einer anderen Frau aber mehr Yang haben. Klassischerweise hat die Frau mehr Blut (Materie) und damit mehr Yin als ein Mann, der wiederum mehr Qi (Feinstoffliches) und damit mehr Yang hat. Dennoch gibt es auch Männer, die vergleichsweise mehr Blut haben und dann mehr Yin aufweisen als andere ihrer Gattung. Entsprechend kann eine Frau auf das Qi bezogen, mehr Yang haben als eine andere.

Will man eine Krankheit beurteilen, muss der Behandler auch evaluieren, ob es Überschuss oder Mangel gibt, an dem einen oder anderen. Auch hier ist die Relation wichtig, man wird die Symptome immer in Beziehung setzen, auch zu äußeren Faktoren, wie zum Beispiel der Jahreszeit. So hat eine leichte depressive Verstimmung im Herbst eine ganz andere Bedeutung, als eine Antriebslosigkeit und Melancholie im Hochsommer. Erstere ist durchaus gesund, denn im Herbst nimmt das Yin zu und damit der Wunsch nach innerer Einkehr. Letztere sollte man sich genauer anschauen, denn dort ist eigentlich das Yang in Hochform und somit der Drang nach außen zu gehen.

Leben findet in dem ständigen Wandel von Yin und Yang statt. In dieser Vorstellung bedeutet das auch, dass man nicht irgendwann an einem Endpunkt ankommt. Man erreicht nicht das maximale Glück oder die maximale Gesundheit oder Fülle. Denn in dem jeweiligen Maximum ist auch schon sein Gegenteil enthalten. Die Monade (Abbild oben) zeigt das sehr anschaulich. Yin (schwarz) und Yang (weiß) gehen ineinander über und im Schwarzen ist weiß enthalten und im Weißen schwarz. Yin und Yang sind in der Realität übrigens nie so ausgeglichen, wie es in der Monade üblicherweise dargestellt wird.

Das Geheimnis für ein zufriedenes Leben ist womöglich, einfach zu akzeptieren, dass in der Polarität alles einem steten Wandel und einem unaufhörlichen Transformationsprozess unterworfen ist. Und Sie auch gar nirgendwo ankommen müssen.

Oder um es mit Hermann Hesse in seinen “Stufen” zu sagen:

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!