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Die Wechseljahre haben über die letzten Jahrzehnte einen ganz schlechten Ruf bekommen, zumindest in unserem Kulturkreis. Das geht soweit, dass die Menopause fast den Status einer Krankheit hat, die unbedingt behandelt werden muß. Viele Frauen haben schon vor dem eigentlichen Eintreten Angst vor den Symptomen, wie Hitzewallungen, Schweißausbrüchen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen oder gar Gewichtszunahme, um nur einige zu nennen. Eine ganze Industrie beschäftigt sich und verdient Geld damit. Hormonersatztherapie, Anti-Aging, Faltenbehandlung, Kosmetik, Ernährung, Vitamine und vieles mehr.

Für mich ein guter Grund, das ganze mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten, nämlich aus einer positiven. Und die chinesische Medizin gibt mir die Grundlage dafür.

Während der ersten Hälfte ihres erwachsenen Lebens ist die Frau an Zyklen gebunden. Das Zunehmen und Abnehmen ihrer Kraft unterliegt den Gesetzen der Natur. Es geht um Fortpflanzung und Versorgen, selbst wenn sie sich entscheidet, keine Kinder zu bekommen. Die zweite Hälfte des Lebens gehört ihr dann allein. Mit dem Ausbleiben der Menstruation hat die Frau nun all ihre Kraft für sich. Das ist ein Geschenk. Nichts strömt mehr davon, jetzt hat sie die Erfahrung und die Energie, all das in die Tat umzusetzen, was sie immer schon wollte. Aber das erfordert Mut. Denn dieses Geschenk muß man auch annehmen. Das hat mit Selbstermächtigung zu tun.

Die mächtige Frau mittleren Alters oder gar Matrone hat in unserer Kultur keinen guten Stand. Gefördert wird eher das Bild des ewig jugendlichen, mädchenhaften Frauentyps, der Schönheit und Sanftmut verbreitet. Deshalb haben viele Frauen schon vor der Menopause Angst, sie könnten Symptome entwickeln, die unpopulär und unbequem werden. Und reagieren mit Scham, wenn die ersten Zeichen auftauchen. Plötzlich ist es peinlich – jemand könnte bemerken, dass sie im Alter jenseits der Mitte 40 angekommen ist. Gerade die subjektive Bewertung der Beschwerden, führt zu dem trügerischen Schluss, Frau ist in den Wechseljahren, also geht es ab jetzt bergab.

Die Wahrheit ist: Durch die ausbleibende Menstruation verfügt die Frau über neue Energiereserven. Sie blüht und glüht zum zweiten Mal, eine zweite Pubertät. Das Schlafbedürfnis nimmt rapide ab und sie könnte wieder Nächte durchtanzen. Und das kombiniert mit der Erfahrung der reiferen Jahre ist eine berauschende Mischung. Das ist das eigentliche Geheimnis der Wechseljahre.

Was passiert energetisch? Im Laufe des Lebens verbraucht sich die bereits von Geburt an mitgebrachte Lebensenergie, die Essenz. Ist die Hälfte dieser Energie verbraucht, beginnt ein sehr sinnvoller Sparmechanismus: Das “himmlische Wasser” versiegt, die Menstruation bleibt aus. Die Kräfte, die zuvor durch die Blutung zyklisch zerstreut wurden, stehen nun uneingeschränkt zur Verfügung. Werden diese Kräfte nicht genutzt, staut sich diese expansive Energie. Das führt dann zu Blockaden im Element Holz. Es kommt zu Störungen, die sich übrigens auch prämenstruell ganz ähnlich zeigen können, nämlich Hitze, Gereiztheit und Unruhe.

Die angeborene Essenz teilt sich in ihre gegensätzlichen Aspekte Yin und Yang, die sich mit fortschreitendem Alter aufbrauchen. Das geschieht aber nicht im gleichen Ausmaß, sondern meistens unterschiedlich stark. Während sich das Yang eher durch nach außen gerichtete Tätigkeiten und körperliche Arbeit oder aggressiven Sport erschöpft, verbraucht sich Yin eher durch Stress, emotionale Erregung, starke Gefühle und durch Blutverlust, wie bei Geburten oder eben einer regelmäßigen Menstruation. Damit erklärt sich warum Frauen ihr Yin deutlich schneller als ihr Yang verbrauchen. Das heißt es kommt zu einem relativen Yang-Überschuss.

Das hitzige Yang ist es, was in der Lebensmitte häufig überwiegt. Zudem kann überschüssige Hitze mit dem Versiegen der Menstruation nicht mehr ausgeleitet werden. Da ein Teil des kühlenden Yin schon verbraucht ist, geraten manche Frauen durch das überschüssige Yang ganz schön in Wallung. Die entstehende Wärme ist ein Zeichen für eine aktive yangige Energie. Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Herzklopfen sind Zeichen für den Neustart und dafür, dass eine Frau noch viel vorhat. Im besten Fall führt das zu mehr Selbstbestimmtheit und Kreativität oder manchmal auch zu einem Start in ein neues Leben. Traut sich eine Frau nicht, diese neu gewonnene Energie umzusetzen oder hat sie nicht die Gelegenheiten dafür geschaffen, staut sich die kräftige Holzenergie und es entsteht eine Leber-Qi- Blockade. Das kann sich dann unter anderem in Gereiztheit und Unausgeglichenheit niederschlagen. Lebt eine Frau hingegen diese machtvolle Kraft aus und findet die Energie einen Ausdruck im Außen, löst sich der Stau.

Wenn eine Frau keinen Zugang zu diesem Verwandlungsprozess findet und in ihren gewohnten Bindungen verharrt, kann der Qi-Stau überhand nehmen und die Befindlichkeiten unerträglich werden. Das ist ein Zustand, den ich in meiner Praxis immer wieder erlebe. Und hier kann ich dann mit meinen Nadeln die blockierte Energie wieder in Schwung bringen. Im besten Fall entsteht eine andere, eine positivere Sichtweise auf die Geschehnisse.

Ist der Yin-Mangel zu groß, kann es zu nächtlichem Schwitzen kommen. Das muß auch nochmal deutlich von Hitzewallungen tagsüber unterschieden werden und ist zu allen Lebensaltern behandlungsbedürftig. Hier muß dann ausreichend Ruhe, Reizentzug und eine gute Ernährung und Lebenspflege herangezogen werden.

Das ist er, der andere Klimawandel. Sehen Sie ihn auch als Chance. Vielmehr als ein Abschied von der Blütezeit, ist es ein Aufbruch in eine verheißungsvolle, selbstbestimmte Phase in Ihrem Leben. Ja, der Übergang kann auch mal unangenehm oder ungewohnt oder anstrengend sein. So sind Wechselphasen naturgemäß. Aber da Sie ohnehin nicht aussteigen können, genießen Sie es wenigstens!

P.s.: Männer haben auch Wechseljahre, es fällt nur nicht so auf…