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Ich habe kürzlich einen Artikel in einer großen Tageszeitung gelesen. Dort stand geschrieben, dass Menschen nicht mehr soviel Verantwortung für ihr Leben übernehmen wollen. Sie lassen lieber Unternehmen oder den Staat für sich entscheiden. In dem Artikel wurde auch ein Autor zitiert, der auf die Umweltverschmutzung bezogen die These aufstellt, wenn jeder Einzelne selbst für seinen Müll verantwortlich ist, kommen die ungeschoren davon, die das Produkt überhaupt erst herstellen. Das heißt im Umkehrschluss, wenn man erst gar keine umweltschädlichen Produkte herstellt, kommt der Mensch nicht in die Versuchung, die Umwelt damit zu verschmutzen. Man muß den Menschen also vor sich selbst schützen, weil er gar nicht anders kann, als sich unverantwortlich zu benehmen. Das zeichnet in meinen Augen das Bild einer sehr unreifen Gesellschaft. Aber sind wir das, sind wir wirklich so unreif, dass man uns vor uns selbst beschützen muß?

Auf das körperliche Wohlbefinden bezogen, kommen mir hier spontan einige Gedanken. In wieweit kann man als erwachsener Mensch die Verantwortung für sein persönliches Befinden abgeben. Wer ist Schuld, wenn die eigene Ernährung irgendwann zu einem Diabetes Typ 2 führt? Oder man 20 Jahre ein Päckchen Zigaretten am Tag raucht und Gefäßprobleme bekommt oder Lungenkrebs? Oder einen Unfall hat und nicht angeschnallt war, obwohl ein hartnäckiges Piepsen daran erinnert hat? Kann man die Unternehmen verantwortlich machen, die diese “gesundheitsschädlichen” Produkte herstellen? Die Tendenz gibt es bereits. Es spricht nichts gegen eine Kennzeichnungspflicht, was, wovon und wieviel z.B. in einem Lebensmittel ist. Denn anhand dieser Daten kann man entscheiden, ob man sich das Produkt zuführt oder nicht. Aber ganz abschaffen?

Viel wichtiger als alles potenziell Gefährdende zu verbieten, ist eine gute Informationspolitik. Warum nicht schon Kinder in einem frühen Alter an eine “gute” Ernährung heranführen. Das kann auch schon im Kindergarten oder in der Schule stattfinden. Oder überhaupt Eigenverantwortung nahe bringen, indem man ein Handeln und die Konsequenzen aufzeigt, aber auch den Spielraum für vermeintlich falsche Entscheidungen läßt.

Gerade im Bereich Medikamente ist die Trennlinie sehr eng zwischen Himmelsgeschenk und Teufelszeug. So können Schmerzmittel einen wertvollen Beitrag leisten, um sich schnell wieder besser zu fühlen oder überhaupt Lebensqualität zu haben. Aber sie können eben genau deswegen zu einem mißbräuchlichen Nutzen führen. Sind daran die Unternehmen schuld, die die Medikamente herstellen oder der Einzelne, der sie einnimmt?

Geht es um die Entstehung einer Krankheit, gerade wenn sie lebensbedrohlich ist, kommt man sehr schnell auf dünnes Eis. Wer oder was ist schuld, wenn man krank wird oder einen Unfall hat. Das ist tatsächlich eine Frage, die jeder Einzelne im gegebenen Moment selbst beantworten muß und wahrscheinlich kann man es auch erst dann. Aber in den Jahren meiner Tätigkeit habe ich beobachtet, dass Menschen, die einen Weg finden, die Verantwortung für ihren Zustand zu übernehmen auch mehr Handlungsspielraum erhalten. Denn wenn nichts und niemand schuld ist, ist man auch nicht darauf angewiesen, dass die Hilfe von außen kommt. Wenn man selbst verantwortlich ist, kann man auch selbst für Besserung oder sogar Umkehr sorgen. Und manchmal zu einem ganz neuen Zustand finden, den man vorher gar nicht in Erwägung gezogen hat.

In der Psychologie spricht man von Selbstwirksamkeit. In diesen Begriff fließt die Verantwortlichkeit mit ein. Die Selbstwirksamkeit ist es, die Menschen in die Lage versetzt, eigene Bedürfnisse zu erkennen, Probleme anzugehen und das Leben zu gestalten. Selbstwirksame Menschen haben Selbstvertrauen, sie sind entscheidungsbereit, verantwortungsbewußt und selbstbeherrscht und verfolgen Ziele, die sie als sinnvoll empfinden.

In diesem Sinne ist eine selbstwirksame Gesellschaft eine sehr schöne Vorstellung für mich. Was meinen Sie?