Es ist Winter geworden. Und hier findet mein kleiner Gang durch das Jahr seinen Abschluß. Die Farbe hat sich aus der Natur zurückgezogen. Die warmen Töne des Laubs sind mittlerweile zerfallen und zersetzt. Übrig geblieben sind schwarz und weiß und alle Schattierungen dazwischen. Als wollte die Natur in keinem Fall mehr durch zu viel bunt auffallen. Selbst wenn die Sonne scheint, ist sie blasser als noch im Herbst. Es ist als wäre ein Graufilter davor gelegt. Alles wird ein bißchen langsamer und Menschen und Tiere verbringen längst nicht mehr so viel Zeit draußen. Es gibt nichts mehr zu tun, nichts zu säen, nichts zu ernten, nach nichts zu schauen. Es ist Zeit nach innen zu gehen und dieser wunderbaren Stille und Ruhe nachzugeben.
Die zum Winter gehörende Wandlungsphase ist das Wasser. Dort werden die Kräfte gesammelt, um die Wirbelsäule aufzurichten. Hier hört die Form aber auch auf und wird flüssig. Und die reale Existenz endet. Das Wasser ist mit dem Ende des Lebens ebenso assoziiert wie mit dem Ursprung. In dieser Phase ist die Kälte groß. Alle Lebensvorgänge beruhigen sich, werden langsamer und nähern sich dem Stillstand. Es ist eine Zeit der Sammlung. Nur, wenn man am Ende des Winters kräftig genug ist, gelingt der Übergang in den Frühling geschmeidig.
Der Mensch besteht zu etwa sechzig Prozent aus Wasser. Wasser transportiert Hormone und Nährstoffe von Zelle zu Zelle. Sämtliche Schmierstoffe für Gelenke und Schleimhäute bestehen aus Wasser. Es ermöglicht Bewegung und es muß fließen, um sauber zu bleiben. Weder zuviel noch zuwenig ist sinnvoll. Ersteres sorgt für Ödeme und Schwellungen, letzteres läßt Körper, Geist und Seele verdorren.
Das zugehörige Yin-Organ ist die Niere. Sie beherbergt die Essenz (Jing), die dem einzelnen Menschen von den Vorfahren mitgegeben wird. Diese Essenz gilt es zu hüten, wie einen Schatz. Denn sie läßt sich nur schwer nachfüllen. Die Nieren formen das Mark und die Knochen. Am Ende der Wirbelsäule entfaltet sich das Meer des Markes, das Gehirn. Die Nierenkraft ist ausschlaggebend für die Stärke der Knochen. Ist sie gemindert kann unter anderem Osteoporose entstehen. Die Umgebungstemperatur sollte gleichmäßig warm sein. Die Nieren sollten weder abkühlen, z.B. durch nasse Kleidung oder bauchfreie Mode, noch sollte es zu Überhitzung durch elektrische Heizdecken, -Sitze, -Kissen etc. kommen. Auch ausreichend Ruhe und Schlaf helfen, die Nierenkraft zu bewahren. Nach Außen zeigt sich die Niere in der Qualität der Haare, sie sind der Schmuck der Niere. In dem Zustand der Haare zeigt sich die Stärke von Essenz und Blut. Über die Ohren öffnen sich die Nieren nach Außen und beeinflussen somit auch das Hörvermögen. Ein niederfrequentes Ohrgeräusch, wie leises Plätschern, kann die Folge einer geschwächten Nierenkraft sein.
Die Blase ist der Yang-Partner im Element Wasser. Die Blasen-Leitbahn ist die längste im Körper und durchläuft alle Regionen. Die Blase bewahrt und filtert Wasser und benötigt Kraft um den Anteil auszuscheiden, der nicht mehr gebraucht wird. Die Blase hat einen engen Bezug zum Herzen und seinen Wünschen und Sehnsüchten. Wenn diese Wünsche keinen angemessenen Ausdruck finden, entsteht Hitze, die vom Herzen zur Blase hinabsinkt und für Entzündung sorgen kann.
Die Eigenschaft, die dem Wasser zugeordnet wird ist die Willenskraft (Zhi), auch der Wille zum Leben. Somit bekommt der Energiehaushalt der Niere etwas unabdingbares, für das man Sorge tragen muss. Deshalb ist es gerade jetzt so wichtig rechtzeitig ins Bett zu gehen, sich warm und Ruhe und Einkehr zu halten. Das Zeichen des Winters ist das Speichern und Bewahren. Die angeborenen Reserven müssen gerade jetzt sorgsam gehütet werden. Das der Niere zugesprochene Tier ist der Hahn. Die Tugend, die dem Hahn von Buddha verliehen wurde, ist bezeichnenderweise der Selbsterhalt.
Die Ernährung sollte jetzt einfacher ausfallen. Der Winter ist die Zeit des absoluten Yin. Es ist nicht der Moment für Experimente. Die Zubereitung kann schlicht bleiben. Es ist ratsam, sparsam mit Gewürzen und geschmacksintensiven Stoffen umzugehen. Wichtig ist es, das Innere vor Auskühlung zu bewahren, deshalb sind nahrhafte Suppen ideal. Wurzelgemüse eignen sich hier besonders, denn sie sind süß, nahrhaft und verleihen wohlige Wärme von innen. Auch etwas fetter darf es sein. In dieser Jahreszeit kann auch das Salz großzügiger verwendet werden, denn es zieht die Substanzen nach innen.
Die Wintersonnenwende hat bereits stattgefunden. Die längste Nacht ist vorüber. Und auch hier hat man wieder dieses eigenartige Paradox, welches zur Sommersonnenwende auch schon da war, nur umgekehrt. Diesmal ist in dem maximalen Yin, das maximale Yang enthalten. In dem Moment der absoluten Dunkelheit kehrt mit dem ersten Yang-Strich das Licht zurück. Es ist kein Zufall, dass genau um diese Zeit Weihnachten gefeiert wird. Die Geburt Jesu Christi, des Lichts, fällt in die Zeit des absoluten Yin.
Das Wasser und der Winter bilden eine weitere Phase des Zyklus, der durchlaufen wird, es stellt keinen Schlusspunkt dar. Es geht weiter. Das Erliegen des sichtbaren Lebens, ist eine maximale Phase der Ruhe. Ein Tor das durchschritten wird, um am Ende wieder neu zu starten. Es gibt keinen absoluten Endpunkt in der Ruhe.
Denken Sie daran, wenn Sie das grau in grau mal wieder nervt und es dunkel ist. Die Natur zeigt es uns ganz deutlich. Jetzt ist der Moment für Einkehr und Ruhe. Die heutige Lebensweise wringt die Essenzen aus. Still sein, Einkehr halten, rechtzeitig rasten, sind die Tugenden, die die Essenz bewahren. Für alles gibt es eine rechte Zeit. Jetzt ist die für Ruhe.
Und am Ende kehrt das Licht zurück und in all der Ruhe begrüßt man das Neue mit viel Getöse und Glanz in einer langen Silvesternacht, die das grau und die Stille und den Stillstand für einen Moment vergessen läßt. Genau, es geht weiter.
Ich wünsche Ihnen einen Wunder-vollen Start in das neue Jahr 2020!